16.05.2012: Albertacce – Col di Verghiu – Evisa

Um 06:00 Uhr läutet mein Wecker. Leise schleiche ich mich wehmütig aus dem Zimmer und weiß, daß ich ab heute wieder ganz alleine unterwegs bin. Das Frühstück (Zwieback mit Butter und Marmelade) ist wie versprochen vorbereitet und eine Gruppe von 3 jungen Franzosen ist ebenfalls schon so früh auf. Als ich um 07:00 Uhr die Gite verlasse, bläst mir eine steife Brise entgegen und der Blick Richtung Col di Verghiu zeigt dunkle Wolken und teilweise Regenbogen. Sollte ich heute erstmalig meine „Wetterkleidung“ benötigen ? Vorerst bin ich noch in der Schönwetterregion und es geht zweimal ca. 150m bergauf und ist dazwischen relativ eben  und ich komme sehr zügig voran. Der Wald hier besteht im Unterschied zum ersten Teil meiner Wanderung eher aus vielen jungen, dürren Bäumen und die allgegenwärtige Maroni-Bäume sind auch schon seltener. Gegen 09:30 Uhr kommt schon mein Zwischenziel in Sichtweite, die dunklen Wolken haben sich mittlerweile verzogen. Laut Karte geht es noch einmal 400m Richtung Westen bergauf. Der Weg dreht jedoch immer mehr Richtung Norden direkt auf massive Felswände zu. Ich bin mir zwar sicher, daß dies nicht der Weg ist, der auf der Karte eingezeichnet ist, da er jedoch perfekt markiert und korrekt beschriftet ist, folge ich ihm mißtrauisch. Plötzlich kreuzt der Weg an einer Brücke über einen Wasserfall den GR20 und ich kann auf der Karte nachvollziehen, daß ich ein ziemliches Eck hingelegt habe. Im Angesicht der tollen Gebirgslandschaft bin ich für diesen Umweg jedoch fast dankbar. Beim Nachsehen auf der 1:100.000 Karte ist dieser Weg auch als Hauptweg eingezeichnet. Nach einer weiteren halben Stunde Anstieg erreiche ich mein Zwischenziel, den Col di Verghiu auf knapp 1.400m Höhe. Hier gibt es gute Aussicht und einen Parkplatz, Grund genug, daß hier Bustouristen, Motorradfahrer und Radfahrer in  Massen zu finden sind. Ein von mir angesprochener deutscher Tourist mit kurzer Hose antwortete auf meine Frage, ob ihm nicht kalt sei nur mit „I dont understand“. So schlecht ist mein Deutsch schon geworden ;-). Trotz teilweisem Sonnenschein ist es hier oben bei meiner Mittagspause dank des Windes für korsische Verhältnisse noch relativ frisch. Nun beginnt der zweite Teil meiner Doppeletappe ausschließlich bergab. An vielen Bäumen hängen Gebilde, die wie Nester aus Spinnweben aussehen vom Pinienprozessionsspinner. So erfahre ich zumindest von einem deutschen Reiseführer am Col di Verghiu, den ich belausche. Der Weg geht langsam aber stetig bergab, nach ca. einer Stunde geht es in den oberen Teil der Spelunca-Schlucht, da entwickelt sich der Weg phasenweise zu einer richtige Kletterpartie. Der schluchtbildende Spelunca-Fluß wird mit einer Hängebrücke überquert. Diese Brücke ist ziemlich wackelig und darf immer nur von einer Person gleichzeitig benutzt werden. Die letzten Kilometer nach Evisa, dem Ziel des heutigen Tages geht es auf dem Kastanienweg. Hier sind entlang des Weges zahlreiche Schautafeln aufgestellt, die über die Ernte und Verarbeitung der Kastanien informieren. Für mich leider nicht sehr hilfreich, da ausschließlich in französisch verfaßt. In Evisa angekommen gönne ich mir als Erstes ein Eis in einem der zwei, drei Straßencafes dieses Ortes.Danach gehe ich zur Gite von Evisa.  Diese ähnelt ein wenig einer Jugendherberge und bietet eine Surfstation (5 EUR/Stunde) und die Möglichkeit, seine Wäsche in einer Waschmaschine zu reinigen. Diese Herberge wird von einem jungen Pärchen geführt, das auch ein kleines Baby hat. Nach dem Duschen, Umziehen, Wäschewaschen etc. gehe ich zurück zur Hauptstraße, setze mich wieder in das Kaffee und genieße bei einem Pietra-Kastanienbier das relativ rege Treiben in Evisa. Ein französisches Pärchen mit großen Wanderrucksäcken gönnt sich ebenfalls eine Stärkung. Ich spreche sie an und wir plaudern ein wenig über die Wege, die wir schon gegangen sind und noch gehen wollen.  Zurück in der Gite hat beim Abendessen ein anderes Pärchen Mitleid mit mir alleine Essenden und setzt sich zu mir. Er spricht relativ gut Englisch, läßt aber lieber seine Frau sprechen, um sie umgehend zu korrigieren. Sie sind sehr interessiert an meiner Tour und erzählen Ihrerseits von Ihrer Reise per Autostopp durch Korsika. Das Abendessen selbst ist sehr umfangreich. Nach der obligatorischen Soup Corse, diesmal aber eher püriert, gibt es eine korsische Lasagne, die gefüllt ist mit Spinat und Ziegen- oder Schafkäse, anschließend wieder eine Art Kastanienkuchen und zum Abschluß eine Käseplatte. Ich probiere alle Sorten durch, ein Käse allerdings, der in ein Glas abgefüllt ist, hat es in sich. Von meinen Tischnachbarn gewarnt, probiere ich nur eine Messerspitze davon. Am Anfang schmeckt es noch intensiv aber nicht auffällig, doch plötzlich fühlt sich der ganze Mund an, wie narkotisiert und nur durch intensives Wassertrinken normalisiert sich das langsam wieder. Dank der Übersetzungskünste meiner Tischnachbarn erklärt sich der Vermieter bereit morgen schon um 07:00 Uhr Frühstück zu servieren, damit ich auch die morgige Doppeletappe früh starten kann. Mein Zimmer teile ich mit einem schweigsamen Wanderer, dem ich noch öfter begegnen werde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.